Straßenkunst in Zittau: Wer erschafft hausgroße Gemälde?

Straßenkunst in Zittau: Wer erschafft hausgroße Gemälde?

Kultur

»"...Man kann nicht einfach malen, was man will. Das ist dann keine Kunst, keine Straßenkunst, sondern einfach nur „ich wollte es machen“«

Eine tschechische und eine ukrainische Künstlerinnen haben zusammen ein zweistöckiges Privathaus in Zittau in ein echt modernes Kulturobjekt verwandelt, indem sie zwei riesige, farbenfrohe Murals an seine Wänden anbracht haben.

Das Wort Mural, aus dem Englischen kommend und umgangsprachlich noch wenig geläufig, ist einfacher gesagt ein modernes Wandgemälde, eine Wandmalerei auf der meist architektonischen Aussenfläche von Gebäuden. Die Idee und die farbenfrohe Ausführung der Wandbilder heben sich in der Regel kontrastreich von der üblichen städtischen Bebauung ab und sind daher oft ein beliebter Touristenmagnet. Aber diese Wandbilder hier in Zittau wurden von den Künstlerinnen nicht für die neugierigen Augen der Reisenden geschaffen, sondern vornehmlich, um die eigene Fantasie der Hausbewohner zu beflügeln. Die Initiative ging von der tschechischen Künstlerin Ála Plíhalová aus.

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"Die Hausbesitzer haben zwei kleine Kinder, daher haben wir freundliche Motive gewählt. Oft haben meine Arbeiten einen erotischen Inhalt oder sind expressiver – mit großen Zähnen oder großen Augen. Daher denke ich, dass dies das freundlichste meiner Bilder ist und natürlich das größte. Ich mag es nicht, den Figuren Namen zu geben, weil ich es liebe, wenn die Fantasie der Menschen beteiligt ist. Wenn ich male, gebe ich den Menschen die Möglichkeit, ihre eigene Geschichte und Idee mit in das Bild einzubringen",- erklärt Ála.

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Ála malt in ihrem Atelier in Liberec und hat eine Sammlung mit Werken zusammengestellt, die im Winter 2024 in der Hillerschen Villa in Zittau ausgestellt wurde. Die Arbeiten der Künstlerin sind Figuren, die überwiegend mit Tusche auf Leinwand gemalt sind, und das Erstellen eines Wandgemäldes am Haus ist ihre erste Arbeit in dieser Art und Weise. Die Idee dazu, sich in diesem Bereich auszuprobieren, entstand vor zwei Jahren, als Ála die Künstlerin Iryna Vodolazchenko kennenlernte, die damals zum ersten Mal nach Zittau kam.

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Iryna Vodolazchenko (DE.: Wodolastschenko) ist eine Künstlerin aus der Stadt Charkiw in der Ukraine, nahe der Grenze zu Russland und somit direkt an der Frontlinie. Irynas künstlerisches Portfolio umfasst Hunderte von Grafiken, Gemälden und Graffiti, aber spezialisiert hat sie sich vor allem auf Wandmalereien.

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Wir sprachen mit Iryna über die Motive und Projekte, die sie in Deutschland bereits realisiert hat:

Iryna, in dem Haus in Zittau haben du und Ála Plíhalová zwei Kreaturen gemalt. Ein großer sitzender Riese bläst einen Wasserstrahl aus seinem Elefantenrüssel, in dem ein Wal an der anderen Wand des Hauses badet. Es ist ganz offensichtlich, dass der Wal, wie er in einem hellen Farbverlauf dargestellt ist, diese Umgebung sehr mag. Könntest du uns etwas über den Entstehungsprozess dieses Projekts erzählen?


Zuerst bereiten wir ein Thema vor, eine Farbpalette, dann eine Skizze, dann kaufen wir die Materialien in den Mengen, die wir brauchen. Dies ist ein Künstleracryl, das sich aber auch für die Malerei im Außenbereich eignet. Wenn man es lackiert, ist es ziemlich haltbar. Zwischen 3 und 5 Jahren, je nach direkter Sonneneinstrahlung. Regen macht ihm nichts aus. Wir trafen uns also zum Tee, machten Skizzen, einigten uns auf ein Thema, und am nächsten Tag wurde die gesamte Ausrüstung ausgeliehen, wir begannen mit einer Kreideskizze.

Wie bist du auf die Idee für dieses Bild gekommen? Wie kam der Wal zu dir?

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Als ich begann, eine Skizze für dieses Werk anzufertigen, tauchten sehr interessante Wolken auf, die in einem Wirbel aufgewirbelt wurden. Seit meiner Kindheit bin ich von Van Gogh inspiriert. Ich habe meinen eigenen Stil gefunden, der einerseits Van Goghs Wirbelstürmen ähnelt, andererseits ist es meine eigene Grafik mit meiner eigenen Farbpalette. Ich verwende diesen Stil, um diesen Wal als Wandgemälde darzustellen. Aber die Suche nach einem Stil zieht sich durch das ganze Leben eines Künstlers. Selbst kleine Experimente können ein unerwartet cooles Ergebnis bringen und den endgültigen Stil und die Identität formen.

Das Thema Identität ist für die Ukrainer heutzutage das Thema Nummer eins, und man kann sagen, dass es in der Welt eine Art „Boom“ für alles Ukrainische gibt - Stil, Kunst, Musik. Welche Rolle spielt dieses Thema jetzt in deiner Arbeit?


Im Allgemeinen ist das Thema der Identität für mich als ukrainische Frau sehr wichtig. Ich denke viel darüber nach und mache auch Projekte, die die Erforschung einiger ukrainischer Ornamente und Techniken beinhalten. Die Petrykiwka-Malerei - ich denke, es ist sehr wichtig, darüber zu sprechen, Meisterkurse abzuhalten und sie anderen Menschen beizubringen. Damit die Tradition und die Kultur lebendig bleiben und von Generation zu Generation weitergegeben werden.

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Die Petrykiwka-Malerei ist ein wirklich seltenes Ornament für einen modernen Wandmaler. Ich kann mich an keine Wandmalerei mit Petrykiwka-Malerei erinnern, obwohl es sich in erster Linie um eine Malerei, eine Technik zur Bemalung von Häuserwänden handelt. Aber Meisterkurse zum Erlernen dieser Technik werden jetzt immer beliebter. Wie nehmen die Teilnehmer deiner Workshops das wahr, wie lernen sie diese Technik?

Ich habe drei Workshops in der Hillerschen Villa abgehalten. Es haben sowohl Ukrainer als auch Deutsche teilgenommen. Es gibt viele Rückmeldungen, dass die Leute sich dabei sehr entspannt fühlen und sagen, es sei wie Meditation. Der Meisterkurs ist normalerweise für zwei Stunden angesetzt, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass wir immer länger bleiben. Die Leute wollen einfach nicht aufstehen. Wenn wir sie mit anderen Techniken und Gemälden vergleichen, ist die Petrykiwka-Technik der chinesischen und japanischen Kalligrafie ähnlich. Auch hier muss man sich konzentrieren, um einen bestimmten Strich zu verfeinern, und wenn das gelingt, stellt sich ein gewisser Zustand der Konzentration ein, der es einem leichter macht, zur Ruhe zu kommen.

Das klingt wie Kunsttherapie...


Ich studierte Monumentalmalerei an der Nationalen Akademie der Bildenden Künste in Charkiw. Dann habe ich einen Master-Abschluss in kunstpädagogischer Therapie gemacht. Ich kann pädagogische Praktiken mit Hilfe von Kunsttechniken unterrichten, aber wie eine Psychologin kann ich keine Kunsttherapie praktizieren, weil dafür eine spezielle medizinische Ausbildung erforderlich ist. Künstlerische Praktiken, die auf die Arbeit in einer Gruppe abzielen. Sie zielen darauf ab, dass Menschen nicht miteinander kommunizieren, sondern ihre Erfahrungen und Emotionen aus der nonverbalen Kommunikation in Kunst umwandeln, um die Emotionen auszudrücken, die sie in sich tragen und über die sie vielleicht nicht mit einem Psychologen sprechen.

Gibt es irgendwelche Altersbeschränkungen für die Workshops, die du anbietest?


Es gibt keine Einschränkungen. Vor kurzem habe ich zum Beispiel einen Graffiti-Workshop direkt am Schulzaun abgehalten. Am ersten Tag waren es 12 Kinder aus den Klassen 1 bis 2. Am nächsten Tag waren die Kinder ein bisschen älter - sie waren in den Klassen 2 und 4. Wir haben den Zaun der Grundschule Emil Ufer Olbersdorf bemalt.

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Ist Graffiti auch eine Kunsttherapie?

Graffiti ist eine „echte“ Kultur. Für mich ist es eine bewusste Handlung und derjenige, der es macht, muss den Kontext verstehen. Man kann nicht einfach malen, was man will. Das ist dann keine Kunst, keine Straßenkunst, sondern einfach nur „ich wollte es machen“. Ich habe viele Freunde aus der Architektur, mit denen ich schon viele Diskussionen über den städtischen Raum geführt habe, darüber, wem er gehört und wer dort was tun darf. Ich finde das Graffiti-Phänomen cool, und das sollte es auch sein, denn es ist vor allem eine Methode, um die Öffentlichkeit auf einige akute Probleme aufmerksam zu machen. Und sehr oft tauchen Graffiti an Orten auf, an denen etwas vernachlässigt wird und die Aufmerksamkeit der Behörden benötigt. Das können zum Beispiel alte verlassene Gebäude sein, die repariert und restauriert werden müssen.

Malst du in Deutschland Graffiti?


Im Jahr 2022 malte ich eine Abstraktion auf einen Zaun für die Wohngruppe „Maxi“.

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Es gibt auch einen Bogen im Zentrum von Zittau mit Kunstwerken von Grafikern. Ich habe ein Porträt von einem Mann mit großen Augen und dem Pseudonym „Graf963“ gemalt. Das ist das Pseudonym eines Freundes von mir aus der Ukraine, der Menschen mit großen Augen malt. Es war das Jahr 2022, und ich machte dieses Graffiti, um ihn zu unterstützen, weil er sich entschloss, als Freiwilliger an die Front zu gehen und zu kämpfen, und wir brauchten Geld, um ihm Munition zu kaufen.

Wie ist sein Schicksal verlaufen?


Er kämpft immer noch an der Front.

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Wie bist du nach Deutschland gekommen und hast hier angefangen zu malen?

Vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hatte ich schon lange davon geträumt, in Deutschland ein Wandbild zu malen. Dann, als der Krieg begann, wurde ich hierher eingeladen, wir organisierten eine Ausstellung mit Gemälden ukrainischer Künstler in Hamburg, und ich habe dort und dann in Zittau Murals gemalt.

Hatte das Wandbild in Hamburg etwas mit dem Thema Krieg zu tun?


Als die Invasion in vollem Umfang begann, wurde mir klar, dass es nirgendwo Sicherheit gab und es sehr schwierig war, sie in dem ständigen Stress zu finden. In Hamburg wurde mir dann eine Wand zur Verfügung gestellt, an der ich malen konnte, was ich wollte, und ich begann, dieses Gefühl der Sicherheit durch das Bild des Meeres und die damit verbundenen Figuren zu erforschen. So ist die Qualle mit dem Vogelkopf entstanden. Und das Gefühl der Sicherheit entstand durch den Prozess des Zeichnens. Die Lücke zwischen mir und der Wand ist meine Sicherheit. Denn in diesem Moment war ich noch sehr beunruhigt über die Geräusche von Flugzeugen, Feuerwerk und Kindergeschrei, die ich in Hamburg hörte. Aber dieser Moment, in dem ich malte, war für mich eine Insel der Sicherheit. Als ich dann nach Zittau kam, war ich daran interessiert, dieses Thema fortzusetzen, aber unter einem anderen Blickwinkel.

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Wie bist du nach Zittau gekommen und wie hat deine Arbeit hier begonnen?

Ich wurde von Karin Kayser hierher eingeladen. Wir kannten uns über die sozialen Medien. Zuerst waren wir mit der Fortsetzung der Ausstellung „Unbreakable“, die in Hamburg stattfand, beschäftigt, jedoch mit einer neuen Besetzung von 16 Künstlern, wobei ich zusammen mit Karin eine der Kurator*innen der Ausstellung war. Alles fand in einem alten Gebäude im Stadtzentrum in der Amalienstraße statt, das dem Architekten Benjamin Pfefferkorn gehört. Im Erdgeschoss wurden die Besucher der Ausstellung von meinem Wandbild begrüßt, gegenüber dem Wandbild hingen meine Werke und auf den anderen beiden Etagen waren Werke anderer Künstler zu sehen.

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Hast du dieses Wandbild auf Bestellung gemacht? Wovon handelt es?

Es war eine Improvisation. Ich habe das Gefühl der Zärtlichkeit in diesem Werk erforscht. Diese Idee entstand aufgrund der tragischen und schwierigen Ereignisse in der Ukraine. Es gibt dort viel Gewalt und ein Gefühl des Hasses, also habe ich nach etwas gesucht, das das Gegenteil davon ist. Mir wurde klar, dass Zärtlichkeit die höchste Stufe von Liebe und Toleranz ist. Ich wollte auch den Kontrast zeigen, dass die Form abstoßend aussehen kann, eine Kreatur mit vielen Augen, aber auf der anderen Seite schafft sie durch die Farben einen Kontrast der Gefühle.

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Im ersten Moment denkt man: wow, das sieht aus wie ein Sonnenuntergang, wie in meiner Kindheit. Und dann denkt man: wow, das ist eine Art fantastisches Monster. Und dank dieses Kontrasts wirkt diese Kreatur nicht aggressiv, sondern einfach nur fremd. Ich wollte einen solchen Effekt erzielen, dass die Farbe dieser Kreatur an einigen Stellen vibriert, so dass sie das Licht reflektiert, also habe ich an einigen Stellen fluoreszierende Farbe verwendet.

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Wir können also sagen, dass dein Traum, ein Mural in Deutschland zu malen, wahr geworden ist. Aber warum Deutschland?

Für mich ist es ein Ort, der die Macht der Kunst als kulturelle Antwort auf politische Aktivitäten in einem historischen Kontext zeigt. Die Straßenkunst hat sich hier von einer marginalisierten Praxis zu einer anerkannten Kunstform entwickelt, die einen bedeutenden Einfluss auf die Identität hat und mich inspiriert, weil sie in der Nachkriegszeit als mächtiges Werkzeug für den sozialen Wandel fungiert. Die Ukrainer erleben derzeit viele schwierige Ereignisse im Zusammenhang mit der groß angelegten Invasion, die sich mit den historischen Ereignissen in Deutschland decken. Und ich glaube, dass Charkiw eines Tages ein ukrainisches Berlin werden wird.

Über Projekte in der Ukraine: Welches ist das erfolgreichste und dasjenige, das dir persönlich am nächsten steht?

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Es war ein Projekt auf der Plattform des Charkiwer Bürgerportals, einer Website für städtische Bürgerinitiativen. Die Menschen, die auf dieser Plattform registriert waren, konnten für das Projekt stimmen, und dann wurde es mit Hilfe des städtischen Haushalts umgesetzt. Ich habe ein solches Projekt vor fünf Jahren begleitet. Es war das Projekt „Amulette von Charkiw“ - der Holzfäller in der Vorobyova-Straße. Und in der Troitsky Lane - ein Hase, der im Einklang mit der Natur meditiert. Diese wurden als Kunstobjekte realisiert. Sie wurden aus Polystyrolschaum als Teilisolierung des Hauses hergestellt. Ich glaube, dass dieses Projekt wichtig ist, weil es völlig originell ist, es ist rein meine kreative Arbeit, es ist sehr gut in den Kontext integriert, was die Farben und die Lage an einem bestimmten Ort betrifft. Ich habe es mit einem Team gemalt, Alexey Pasturga, Alexey Filippov und Denis Stadnik haben mir geholfen.

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Wie steht es jetzt um deine Murals in der Ukraine?

Ich hatte eine unangenehme Erfahrung mit Schäden an meinen Werken. In der Nachbarstraße gab es eine Explosion, die Gebäude wurden teilweise zerstört, aber mein Wandbild „ Der Holzfäller“ blieb unversehrt. Es ist symbolisch für mich, weil ich eine solche Schutzfunktion in diese Idee „Amulette“ hineingelegt habe, und ich freue mich, dass es für Widerstandsfähigkeit steht. Und auch der Rest des Werkes ist teilweise intakt. Wie alles in Charkiw. Wie die Menschen, die Kunst, die Stadt selbst. Es ist sehr nützlich zu sehen, dass das Werk jetzt in einem solchen Zustand ist, das Gesicht des Hasen und ein Teil seines Arms sind abgefallen, aber es spiegelt den Lauf der Geschichte wider. Es zeigt die Veränderungen, die mit uns geschehen. Es handelt sich um eine gewisse Traumatisierung, und gleichzeitig um die Widerstandsfähigkeit, die wir durch diese Traumata gewinnen.

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Heutzutage ist es fast unmöglich, in der Ukraine, einer Stadt nur wenige Dutzend Kilometer von der Frontlinie entfernt, Wandgemälde zu malen, sagt Iryna. Alle Kräfte und Mittel müssten ständig darauf verwendet werden, das wiederherzustellen, was von russischen Waffen zerstört wurde. Als echte Taucherin (ed. Das Pseudonym VODOLAZ ist Teil des Nachnamens von Iryna und bedeutet ins Deutsche übersetzt Taucher) erkundet Iryna weiterhin die Tiefen relevanter Bilder für Street Art und sucht nach Projekten im Ausland. Projekte, die hier Gebäude mit Kunst bedecken würden, und in der Heimat dabei hälfen, ganz neue sichere Mauern zu errichten.