Elitka100 - Interview mit Kateřina Šedá
Elitka100 - Interview mit Kateřina Šedá
Kultur
»In Varnsdorf wird für ein Lebenswerk gedankt.«
Kateřina Šedá ist eine der bekanntesten Künstlerinnen der Welt. Ihr jüngstes Lebenswerk der letzten beiden Jahren spielt sich in Varnsdorf ab, wo es vom 23. bis 25. Mai 2024 ihren Höhepunkt erreichen wird. Es findet eine Serie von Aktionen statt, im Sinne des "Dankes für ein ganzes Arbeitsleben" an alle ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Elite-Fabrik anlässlich des 100-jährigen Bestehens dieser Fabrik. Die Feierlichkeiten sollen die breite Öffentlichkeit dazu ermutigen nicht nur teilzunehmen, sondern auch zu reflektieren und wahr zu nehmen, was Arbeit in unserem Leben und unseren Beziehungen bedeutet.
Red.: Du bist eine der bekanntesten und meistgeschätzten tschechischen Künstlerinen. Autorin einer Reihe von öffentlichen Realisierungen in der Tschechischen Republik und im Ausland. Im Jahr 2011 hattest Du eine Einzelausstellung in einer der berühmtesten Galerien der Welt, der Tate Modern in London. Du bist auch eine Empfängerin zahlreicher prestigeträchtiger Auszeichnungen. Warum hast Du Dich als Künstlerin, die mit Menschen im öffentlichen Raum arbeitet, gerade für Varnsdorf entschieden?
Ich wurde von der Produzentin Tereza Swadoschová angesprochen, die aus Varnsdorf stammt und auch dort mit ihrer Familie lebt. Sie hatte die Idee eines Projektes aus Varnsdorf, das verschiedene Generationen und Gruppen von Menschen, die hier leben, miteinander verbinden soll. Ich war fasziniert von der spektakulären und dramatischen Geschichte der Stadt und wie sie sich seit dem zweiten Weltkrieg verändert hat. In der Zeit haben die großen Unternehmen, die jahrzehntelang die Säulen des lokalen Lebens waren, sich aufgelöst. Es stellte sich heraus, dass für viele Gruppen von Menschen, mit dem Verschwinden der Industrialisierung, die Möglichkeiten der Begegnung, den Rhythmus des sozialen Lebens und die Sicherheit der Beziehungen der großen Kollektive die in den Fabriken arbeiteten weg fielen. Als Künstlerin versuche ich, Verbindungen zwischen Menschen zu erneuern, zu verändern oder neu zu schaffen. In Varnsdorf, habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, ein Projekt zu entwickeln, das die Menschen wieder zusammenbringt. Sie treffen sich und beleben die Stadt. Letztendlich geht es in unserem ganzen Leben um Beziehungen zu anderen Menschen. Da wird sich in der gesamten Geschichte der Menschheit, auch in ferner Zukunft nichts ändern.
Red.: In Varnsdorf konnte man sich früher mit vielen Dingen beschäftigen. Zum Beispiel leidet die Stadt unter dem Fehlen von gemeinschftlichen Interessen, seit die Deutschen, die einst den größten Teil der Stadt ausmachten, vertrieben worden sind. Bis jetzt haben sich die Beziehungen zu ihnen nicht wesentlich erholt. Das Jahrzehnt nach der Revolution war in vielerlei Hinsicht für alle dramatisch. Ob wir nun über Korruption oder die Beziehungen zu den Roma sprechen. Wir könnten uns hier mit allem befassen. Warum hast Du Dich auf die Elite-Fabrik und ihre ehemaligen Mitarbeiter konzentriert?
Ein entscheidender Moment für mich war der Tag, an dem der Abschied von „Elitka“ stattfand und ich in der Menschenmenge stand. Umgeben von ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ging ich durch die Räume, Büros und Flure einer der berühmtesten Fabrik der Tschechischen Republik. Ich lauschte den Gesprächen, den Erinnerungsfetzen, beobachtete, wie die Menschen ihre Stühle, ihre Schreibtische, ihre vergilbten Kalender verabschiedeten, was in ihnen der letzte Blick aus den Fenstern erweckt, aus denen sie jahrzehntelang geschaut haben. Ich habe auch viel Bedauern gehört, dass nach Jahrzehnten der Betrieb der Fabrik und ihre Arbeit dieses Herzstück ihres Lebens plötzlich einfach weg fällt. Die Menschen hatten bis jetzt ihr Leben mit Elitka verbunden und plötzlich werden die Maschinen abgestellt und das Tor abgeschlossen und Punkt. Das ganze ein Jahr vor ihrem hundertjährigen Jubiläum. Das war für mich der Moment an dem ich beschloss, das soziale Leben in Varnsdorf mit der Strumpffabrik zu erfassen. Die Fabrik hat praktisch das Leben aller Menschen dort durchdrungen. Es wurde mir auch bewusst, was die 99 Jahre von Elitka umfassten - zum Beispiel, dass es bis zur Nachkriegsverstaatlichung keine Fabrik-Elitka war, sondern eine Fabrik der deutschen Familie Kunert, die sich sehr für den politischen und sozialen Frieden in der Stadt der 1920er und 1930er Jahre einsetzte. Es waren progressive Eigentümer, die die Moderne nach Varnsdorf brachten, die in nichts hinter Baťa zurückstanden. Sie prägten das Stadtbild sowohl architektonisch, als auch durch die Modernisierung der Produktion. Damals in Varnsdorf zu leben, bedeutete etwas.
Red.: Du bereitest das Projekt in Varnsdorf seit 2022 vor und es wird dieses Jahr Ende Mai mit einem dreitägigen Programm seinen Höhepunkt erreichen. Teilweise ist es nur für angemeldete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Elitka und teilweise für die Öffentlichkeit zugänglich. Eine Wochenendveranstaltung zum hundertjährigen Jubiläum von Elitka zu organisieren, würde in der Regel mehrere Wochen dauern. Du hast jedoch über zwei Jahre an dem Projekt gearbeitet. Du hast mit Hunderten von Menschen aus Varnsdorf gesprochen, die mit der Fabrik verbunden waren. Was hat dich dazu veranlasst und was hat dieses intensive Zusammentreffen gebracht? Und wie hast du diese Menschen überhaupt gefunden?
In der ersten Phase des Projekts habe ich mit meinen Mitarbeiterinen und Mitarbeitern alle Eliťáci und Eliťačky gesucht, die ich in das Projekt einbeziehen wollte. Dazu haben wir eine Aufforderung auf unserer Website verwendet und Sammelboxen in Varnsdorf und Krásná Lípa, wo die Marke Elite in der „Schindler Strickerei“ fortgeführt wird, aufgestellt. Es haben sich über 700 Menschen gemeldet, mit denen wir uns seit November 2023 nach und nach getroffen haben. Gemeinsam haben wir persönliche Erinnerungen an die Produktion, das Arbeitskollektiv und Freizeitaktivitäten geteilt. Man erinnerte sich an den „Eliťácký Klub“, den „Punčochářský Karneval“, sowie auch Unterhaltungen im „Lidový dům“ oder Urlaub in „Na Výsluní“. Es zeigte sich nach und nach, dass für viele Menschen die größte Belohnung für die Arbeit bei Elitka die schönen Erinnerungen sind, die aber durch eine wesentliche Tatsache getrübt wurden - und zwar der Abschied von der Fabrik. Seit 1989 kam es zu einer schrittweisen Entlassung von Mitarbeitern, die sich in den folgenden dreißig Jahren kontinuierlich fortsetzte. Viele Eliťačky und Eliťáci konnten bei der Erinnerung die Tränen nicht zurückhalten und beschrieben ausführlich, wie sie von einem Tag auf den anderen gekündigt wurden und wie schwer es ihnen bis heute fällt an der Fabrik vorbeizugehen. Gleichzeitig enthüllten sie ein Thema, das viele andere Betriebe in der ganzen Republik betrifft, die nach und nach geschlossen wurden. Oft fand sich keine Zeit, oder Mittel, sich würdevoll von den Mitarbeitern zu verabschieden und ihnen auch zu danken. Nach den Erfahrungen in Varnsdorf betrachte ich dies als eine Art Unrecht und würde gerne helfen, dies zu korrigieren. Daher wird während der Feierlichkeiten am Freitag, den 24. Mai 2024 um 16 Uhr das Haupttor von Elitka erneut geöffnet, um die ehemaligen Mitarbeiter ein letztes Mal zu begrüßen und gemeinsam den letzten Tag in der Fabrik Elitka zu wiederholen. Die letzte Schicht wird diesmal nach einem völlig anderen Szenario ablaufen und ich hoffe fest, dass alle die größtmögliche Belohnung davontragen werden, und zwar, schöne Erinnerungen.
Red.: Die Hauptveranstaltung des Programms heißt also „Die letzte Schicht“. Offensichtlich kehren wir noch einmal und wirklich zum letzten Mal in die Räumlichkeiten bei Elitka zurück. Hier soll es dann zur "Danksagung für die Lebensarbeit" und zur Feier kommen. Die Fabrik hat letztes Jahr ihren Betrieb eingestellt. Welchen Sinn hat das?
Es mag absurd klingen - warum etwas feiern, das es nicht mehr gibt? Aber wir feiern etwas, was in den Erinnerungen der noch lebenden Menschen existiert, die mit der Fabrik noch verbunden sind. Solange sie da sind, existiert das Phänomen der Fabrikstadt und es spielt keine Rolle, ob die Betriebsgebäude noch stehen und die Maschinen noch laufen. Die Feierlichkeiten zum nicht „ganz“ erreichten 100-jährigen Jubiläum von Elitka verstehe ich gleichzeitig als Dank an die Menschen für ihre Lebensarbeit. Der Lohn kann nicht die einzige Anerkennung bleiben, denn die Menschen haben der Fabrik oft ihr ganzes Leben gewidmet und sie hat gleichzeitig auch deren Leben erfüllt. Es ist keine einseitige Beziehung. Ich wollte mich nicht mit dem Bild abfinden, in dem die Menschen durch die schnell verfallenden Räume von Elitka gehen, die Schultern zucken angesichts des Ruins und vielleicht auch darüber, dass ihre lebenslange Arbeit letztlich nur gut genug zum Abreißen ist - und das soll alles gewesen sein? Darüber legt sich das Gefühl, dass all diese Arbeit eigentlich umsonst war und dass das Leben, die Menschen die dahinter stehen, irgendwie leer ausgegangen sind, wenn wir die Ruinen hinter uns sehen. Ich fühlte, dass mir - aber vor allem den Mitarbeitern - ein Ritual fehlte, durch das sich die hundertjährige Geschichte von Elitka würdig abschließen würde. Und würdig bedeutet für mich gemeinsam. Die Menschen gingen in riesigen Kollektiven zur Arbeit in die Fabrik und sollten sich ebenso von ihr verabschieden - und die Fabrik von ihnen. Natürlich ist es nicht und war auch nicht meine Fabrik und ich bin nicht verantwortlich dafür, wie die Fabrik ihren Betrieb beendet hat und wie sie sich von ihren Menschen verabschiedet hat. Oder auch nicht. Ich halte es für wichtig, die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, zu korrigieren und in diesem Raum Respekt und Dankbarkeit einzubringen. Jeder Mensch der sein ganzes Leben der Arbeit gewitmet hat, verdient das.
Red.: Wir sind es gewohnt, dass Rituale "alt" und "traditionell" sind und wir haben nicht viele, die sich mit modernen Ereignissen und Phänomenen befassen. Mir fällt das Begrüßen der Neugeborenen als moderne Erfindung ein, aber wir haben definitiv keine Rituale, die sich mit der Schließung von Fabriken befassen. Warum ist das notwendig?
Bei den Treffen und Gesprächen mit den Eliťáci und Eliťačky stellte sich heraus, dass wir nicht wissen, wie man sich verabschiedet, noch wie eine solche Zeremonie überhaupt aussehen sollte. Ich denke, jeder Mensch erwartet eine gewisse Anerkennung für seine Arbeit, und es klingt völlig verrückt, dass der Abschied in der Form abläuft wie zum Beispiel „Komm morgen nicht mehr“. Dies erlebte nur eine Gruppe von Eliťáci anders, die sich 2023 schön von der Leitung verabschiedeten und sich gerne auch daran erinnern. In der letzten Schicht sehe ich eine Gelegenheit, sich auch anderswo für ein modernes Ritual inspirieren zu lassen, durch das wir lernen könnten, uns gegenseitig für die Arbeit zu danken und uns voneinander zu verabschieden. Ich halte das wirklich für wesentlich, denn ohne ein Ritual kann keine Lebensphase gut abgeschlossen werden. Unvollendete Geschichten und der Mangel an Dankbarkeit sind bei weitem nicht nur eine Besonderheit von Varnsdorf. Das passiert wahrscheinlich in den Köpfen aller Menschen in der ganzen Republik, die ihr Leben einer Fabrik gewidmet haben, ihre Beziehungen und ihren Alltag damit verbunden haben und schließlich "Komm morgen nicht mehr" gehört haben. Es folgt nur eine einsame Leere. Daher muss etwas getan werden, und dies könnte einer der Wege sein.
Red. : Welcher Teil des Feierprogramms ist für dich am wichtigsten und warum? Wie bist du auf das Programm gekommen?
Es sind sicherlich die beiden Hauptveranstaltungen - Die letzte Schicht und der Countryball im Lidový dům. Die letzte Schicht bildet den Hauptteil des Programms zur Feier der Lebensarbeit, weil ich versucht habe, ein Format zu finden, um ein Unrecht zu korrigieren. Auf ihre Weise ist es eine Gruppentherapie. Der Countryball ist eine Veranstaltung, die einst populär und legendär war und die örtlichen Leute wünschten sich in unseren Gesprächen das noch einmal zu erleben. Wir möchten das nicht erreichte hundertjährige Jubiläum von Elitka und ihren Menschen so gut wie möglich feiern und das so wie die Mitarbeiter es sich selbst wünschen würden. Und dem haben wir große Aufmerksamkeit gewidmet. Aufgrund der begrenzten Kapazitäten der Räume müssen wir leider diese beiden Hauptveranstaltungen nur auf die Eliťáci und Eliťačky beschränken. Alle anderen laden wir herzlich zu weiteren Veranstaltungen ein, die für die breite Öffentlichkeit von Donnerstag bis Samstag stattfinden werden. Es werden Vorträge, Führungen, Filmvorführungen und ähnliches angeboten.
Red.: Was können die Teilnehmer bei der Letzten Schicht in Elitka erwarten? Und was wird beim Countryball am Samstag im Lidový dům passieren?
Das Programm der letzten Schicht möchte ich nicht im Detail verraten, denn es soll für alle eine Überraschung werden. Schließlich weiß man nie, was bei einer Schicht passiert, und man muss auf alles vorbereitet sein. Aber, um nicht zu geheimnisvoll zu sein, verrate ich zumindest, dass die Band „Táboranka“ spielen wird und die Moderation übernimmt Alena Smetanová und Miloš Kostlán. Wir werden versuchen, das berühmte „Elite-Buffet“ mit seinem traditionellen Angebot wieder aufleben zu lassen. Es werden viele Überraschungen stattfinden. Was den Countryball im Lidový dům betrifft, so bemühen wir uns um eine Rückkehr zu dem, woran die Eliťáci und Eliťačky gerne zurückdenken.
red: In Varnsdorf hast du auch in den öffentlichen Raum eingegriffen und eine Ausstellung in den Schaufenstern der Geschäfte vorbereitet. Was kann eine solche Aktion bei den Menschen verändern, die mit dir zusammen gearbeitet haben? Wie könnte sie auf die Passanten wirken?
Von Anfang an hatte ich geplant, eine Ausstellung vorzubereiten, aber ich war unsicher, wie ich das im öffentlichen Raum machen sollte. Ich selbst mag keine unansehnlichen Tafeln in den Straßen und ähnliches. Während der Treffen mit den Eliťáci und Eliťačky stellte sich heraus, dass sie oft an die Zeiten zurückdachten, als sie die Hauptstraßen entlang spazierten. Sie sagten uns, dass sie dort oft alle wichtigen Informationen bekamen. Sie mussten nicht einmal Zeitungen lesen, es reichte, die Straße entlang zu gehen und sie erfuhren alles. Ich wollte diese alten Straßen wieder zum Leben erwecken. Ich fragte die örtlichen Geschäftsleute, ob sie uns ihre Schaufenster für die Ausstellung zur Verfügung stellen würden und viele von ihnen stimmten zu. An der eigentlichen Ausstellung arbeiteten wir mit den örtlichen Schulen zusammen - der Kunstschule, der Mittelschule und der höheren Fachschule mit Fachrichtungen wie Grafikdesign, Produktdesign und Modedesign, die wir dann aufforderten, die Schaufenster zum Thema Elitka vorzubereiten. Sie sollten sich selbst überlegen, wie sie das machen würden. Bei weiteren Schaufenstern arbeiten wir beispielsweise mit Martin Veselík, dem Besitzer der Schindler Strickerei in Krásná Lípa, zusammen. Für mich war es wichtig, dass wir etwas schaffen, zu dem die breite Öffentlichkeit Zugang hat, wo man etwas ansehen kann, sich treffen kann und es für jeden und zu jeder Zeit zugänglich ist.
Red. : Für viele Menschen mag es ein Rätsel sein, was du als Künstlerin eigentlich machst, wenn nach dir nichts Materielles bleibt? Könntest du das anhand dessen erklären, was du gerade in Varnsdorf organisierst und vorbereitest?
Es stimmt, dass ich als Künstlerin keine Bilder male, keine Musik komponiere und keine Skulpturen meißle, aber dennoch bleibt in jedem Projekt ein materielles Artefakt. Manchmal ist es ein Stadtführer in Buchform, manchmal tausend Hemden mit einem Aufdruck des Wohngebiets oder zum Beispiel Vogelhäuschen im Garten des Seniorenheims, die verkleinerte Kopien der Häuser sind, in denen die Senioren ursprünglich gewohnt haben. In meiner Arbeit interessieren mich hauptsächlich Menschen und ihre Beziehungen in der Gemeinschaft. Eine solche Gemeinschaft kann ein Seniorenheim sein, aber auch eine ganze Stadt. Es geht mir immer darum, die Beziehungen zwischen Menschen zu verändern, aufzubauen, zu intensivieren und die Menschen so zu verbinden, dass sie sich künftig auch von selbst treffen und etwas zusammen unternehmen möchten. In Varnsdorf ist mir aufgefallen, dass es hier ziemlich viele einsame Senioren gibt - und sie sehnen sich nach Gemeinschaft. Kaum jemand möchte alleine zu Hause sitzen. Das ist wohl ein Hauptproblem der gesamten westlichen Zivilisation und auch unseres Landes. Hier in Varnsdorf wurde es durch den Verlust von Elitka besonders deutlich. Stellen Sie sich vor, sie gehen Ihr ganzes Leben dort hin, haben dort Kinder in der Betriebskita, abends gehen Sie direkt hinter der Fabrikmauer in die Diskothek, alle, die sie kennen, arbeiten auch dort. Sie treffen sich bei vielen kulturellen und sportlichen Veranstaltungen, die die Fabrik organisiert. Und plötzlich ist es vorbei. Plötzlich fehlt eine Führungsfigur, ein Initiator von Aktivitäten, die man wahrnehmen könnte. Der Fall der Fabrik ist eine Chance für die Gemeinschaft, sich selbst zu verwalten. Das ist jedoch nicht ganz einfach für die Menschen die es anders kannten, bzw. es geschied nicht von selbst. Ich wollte dabei helfen, weil ich überzeugt bin, dass ein gutes Zusammenleben auch ohne Fabrik möglich ist.
Red.: Wie hat dich das Projekt in Varnsdorf verändert?
Ich habe in Varnsdorf großartige Mitarbeiterinen und Mitarbeiter gefunden und wir sind auch teilweise Freunde geworden. Ohne ihren Einsatz hätte ich das Projekt nicht umsetzen können. Mein Dank gilt vor allem Petra Konečná, die am Projekt gearbeitet hat und unermüdlich die Eliťáci während der gesamten Zeit anrief und viele Dinge organisierte. Später kam Jana Vébrová zum Team hinzu und in Verbindung mit Petra wurden sie zum wahren Herz des Projekts. Zu den weiteren, die uns geholfen haben, gehören Klára Vnenková, der Fotograf Janek Jiříček, die Grafikerin Kristína Drinková und viele andere. Es gelang uns, die Arbeit vieler zu koordinieren und ich glaube, dass diese Arbeitsmethode auch für andere inspirierend sein kann und einige Gedanken anstoßen kann. Natürlich wurde ich auch von der großen Gruppe der Senioren beeinflusst, mit der wir gearbeitet haben. Ich denke, dass gerade diese Gruppe viele Erlebnisse hat, aber niemanden, mit dem sie diese teilen kann. Es hat mich definitiv dazu bewegt, mich viel mehr dem Alter und den Seniorengruppen zu widmen. Es stimmt, dass ich mich mit diesem Thema schon oft beschäftigt habe, meistens aber in Seniorenheimen, oder ich habe ältere Generationen in andere Projekte mit eingebunden. Hier habe ich zum ersten Mal mit einer so großen Gruppe gearbeitet. Bei vielen Treffen konnte ich einen Einblick darin gewinnen, wie die Senioren in Varnsdorf leben, was sie bedrückt und dass sie sich wirklich am Rande der Gesellschaft befinden. Und das betrifft nicht nur Elitka. Es war traurig zu hören, wie sich die Menschen fühlen, und es hat mich sehr motiviert, zu versuchen, diese Dinge zu ändern, bevor ich selbst in dieses Alter komme.