Der Geschmack der Berge
Der Geschmack der Berge
Essen
»Ein Wochenmarkt weckt die Begeisterung von Liebhabern guten Essens«
Der ehemalige Gutshof am Fuße des Wohnturms in Siedlęcin/Boberröhrsdorf stellt die Kulisse für einen kleinen Wochenmarkt. Jeden Samstag von 10 bis 13 Uhr bieten die Erzeuger aus dem Umland von Jelenia Góra dort ihre Lebensmittel an. Honig, Konfitüre, Käse und Wurstwaren stammen alles aus eigener Produktion und werden nach Familienrezepten und auf ursprüngliche Weise hergestellt, aus dem, was die Region zu bieten hat. Der Name des kleinen Marktes „Der Geschmack der Berge“ hält, was er verspricht. Lokale Züchter und Gärtner aus den umliegenden Ortschaften zwischen Iser- und Riesengebirge verkaufen hier ihre hausgemachten Erzeugnisse.
Der Ort Siedlęcin und der Verbrauchermarkt war eine Zufallsentdeckung. Ein Wochenendausflug führt uns in den Landschaftspark Unteres Bobertal (Park Krajobrazowy Doliny Bobru), vier Kilometer nordwestlich von Jelenia Góra. Der Ort selbst ist unscheinbar. Zwei Kirchen fallen auf, die zwischen den Häusern am Hang hervorragen. Durch den Ort windet sich der Bober, ein Fluss, der den See Modry im Südosten und den See Wrzeszczyńskie im Westen miteinander verbindet. Eine traumhafte schöne Gegend, die zum Wochenendausflug und zum Wandern wie geschaffen ist.
Ausflugsziele sind die Schlösser und Burgen in dieser Gegend. Das unweit gelegene Hirschberger Tal ist bekannt dafür. In einer Reisebeschreibung werden wir auf einen einzeln stehenden mittelalterlichen Wohnturm aufmerksam gemacht. Wir suchten zunächst im Wald. Nachdem wir schließlich den Bober in Siedlęcin auf einer abenteuerlichen Metallbrücke überquert haben, ragt er direkt vor uns über eine Feldsteinmauer empor. Wir befinden uns mitten im Ort. Die Einfahrt führte auf einen unbefestigten Hof. Matsch und Kies knirschen unter den Reifen. Über einem Feuer steigt Rauch auf. Selbstgezimmerte Holzstände drängen sich auf der Südseite nahe der ehemaligen Befestigungsmauer. Unbeabsichtigt bietet der Markt die Kulisse für eine Zeitreise.
Bei unserem zweiten Ausflug treffen wir Marta und Mariusz auf dem Wochenmarkt. Zum Glück. Mit Englisch und Deutsch kommen wir nicht weit. Als wir eintreffen, ist Marta bereits mit Händlern ins Gespräch verwickelt. Sie haben zwei Jugendliche getroffen, die Magnete verkaufen, die sie selber entwickelt haben.
Es dauert auch gar nicht lange und wir kommen mit Piotr Syta ins Gespräch, der in Giebułtówka bei Mirsk, im polnischen Teil des Isergebirges, gemeinsam mit seiner Frau den Bauernhof „Satte Ziege“ betreibt. „Ich stelle selbst mit meiner Frau alles her, was ich hier verkaufe“, erzählt er. „Das Wissen haben wir uns nach und nach selbst beigebracht, beziehungsweise uns von anderen Ziegenzüchtern angeeignet. Derzeit besitzen wir 72 Ziegen. Im Sommer kommen noch mehr Ziegen dazu“ sagt er mit Stolz. Ob er auch Ziegen schlachte und Fleisch verarbeite, wollen wir wissen. "Nein, wir verkaufen die Ziegen und die Lämmer an die Fleischer nur zur Weiterverarbeitung. Unsere Produkte machen wir aus der Milch der Ziegen“, erfahren wir. „Ziegenkäse, geräucherten Käse. Frischkäse, pure Ziegenmilch und ...“ Er macht eine Pause, als er eine kleine flache Flasche hochhebt: „Ziegenmilchlikör“. Seine Erwartung bestätigt sich: Wir gucken fragend und er reicht schmunzelnd Becher mit Kostproben herum. Der Mix aus Ziegen- und Kokosmilch mit einem kleinen Schuss Wodka ist ungewöhnlich, aber gut. Die Ziegenmilch gewinnt durch die Kokosmilch eine exotische Note.
Die Händler nebenan schalten sich mit ein. Wir wollen wissen, wie die Idee für den Bauernmarkt entstanden ist? Piotr Syta erklärt: „Alle Bauern, ich bin ein bisschen später dazu gekommen, haben sich zusammengetan um ihre Erzeugnisse in Form eines Marktes jeden Samstag, das ganze Jahr hindurch, anzubieten – egal bei welchem Wetter. Wir haben diesen Platz hier am Fuße des Wohnturmes gefunden und verkaufen schon seit drei Jahren unsere Produkte, die man nicht in den Lebensmittelgeschäften findet. Honig, Gemüse, Früchte, Fleisch, Quark und Käse, Milch sowie Gebäck. Saisonware. Alles hausgemacht.“
Nebenan bieten Weronika und Andrzej Krala aus Piechowice Produkte aus
ihrer Imkerei an. Von ihnen wollen wir zunächst wissen, warum man fast
gar keine Werbung zu diesem Markt findet? Andrzej Krala meint dazu: „Wir
brauchen eigentlich keine Werbung, uns reicht die Mundpropaganda.
Außerdem haben wir eine Facebook-Seite, wo wir über den Samstagsmarkt
informieren. Und Weronika Krala fügt hinzu: „Und wenn jemand nach den
Sehenswürdigkeiten sucht und nach Siedlęcin kommt, um eines der größten
(22,2 x 14,35 m) und prächtigsten Bauwerke dieser Art in Mitteleuropa,
den fürstlichen Wohnturm, zu besichtigen, entdeckt er auch uns dabei. Im
Sommer haben wir auch Ritterspiele hier, man kann also auch Ritter aus
den alten Zeiten treffen.“ (lacht)
Wir erfahren weiter, dass das Grundstück, wo die Stände stehen, durch die Stiftung „Schloss Chudów” verwaltet wird, die auf dem Gelände um den Wohnturm Events zu besonderen Anlässen organisiert.
Weronika und Andrzej Krala waren nicht immer Bienenzüchter. Dazu kamen sie durch einen Zufall. „20 Jahre lang bin ich zu einem Bienenzüchter gegangen, um Honig zu erwerben. Meine Kinder sind mit Honig groß geworden. Täglich ein Glas Wasser mit einer kleinen Portion Honig stärkt das Immunsystem. Honig ist ein wichtiger Bestandteil der traditionellen Hausmedizin und sehr gesund.“ Nach einer kurzen Pause fährt er fort: „Der alte Bienenzüchter ist dann krank geworden und wollte mir seine Imkerei verkaufen. Ich hatte Angst damals und wollte das nicht. Ein Jahr später im Sommer, am Kindertag, haben Bienen am Hauseingang ein Nest gebaut. Der Bienenschwarm ist zu mir nach Hause gekommen. Zufall? Eher ein Zeichen von oben.“ Sie lachen: „So begann unser Lebensabenteuer mit den Bienen, das bis heute dauert. Ich habe angefangen, entsprechende Literatur zu lesen. Ich absolvierte einen Berufskurs und erhielt ein Diplom als Imkermeister. Ich kann mein Wissen also weitergeben.“ Nach einer kurzen Pause fährt er fort: „Ich begann mit dem Bienenschwarm, der zu mir gekommen ist. Später habe ich zwei Bienenstöcke gekauft und aktuell besitze ich ca. 55 Bienenschwärme.“ Wir lenken das Gespräch auf ein aktuelles Thema: „Ja, wegen der Chemie heutzutage und des vermehrten Spritzens der Pflanzen sterben viele Bienen. Man sollte das Spritzen entweder sehr früh oder ganz spät am Tag durchführen, um die Bienen, die tagsüber aktiv sind, nicht zu vergiften. Und es kommt darauf an, den Rhythmus der Bienen nicht zu stören, mit der Natur in Einklang zu leben, sie nicht zu stressen und zu zerstören. All das Wissen kann ich als Bienenzüchter weitergeben.“
Hilfe bekommt er von seiner Frau. Die Kinder sind erwachsen und wohnen nicht mehr im Elternhaus. Wie ist es für sie, so ein Familienbusiness zu führen, wollen wir von Weronika Krala wissen? „Man muss wirklich einen Tick mit Bienen haben. Wir sind Imker aus Leidenschaft. Mein Mann ist draußen bei den Bienen und mir sind die Hausarbeiten, verbunden mit der Honig- und Blütenstaubzubereitung, zugeteilt. Das ist zwar eine Saisonbeschäftigung von April bis September, aber es bereitet uns viel Spaß und füllt unser Leben aus.“
Wir haben uns festgeredet. Als wir uns umblicken, haben die meisten Händler bereits zusammengepackt. Wir bedanken uns, nehmen noch von diesem und jenem etwas mit nach Hause. Eins ist sicher, „Der Geschmack der Berge“ trifft es auf den Punkt. Und auf der Rückfahrt ist eine neue Idee geboren. Vor meinem inneren Auge sehe ich fröhlich versammelte Menschen um eine lange Tafel, die mit den eben entdeckten Köstlichkeiten gedeckt ist. Keine große Sache, ein kleines Fest mit den einfachen Freuden des Landlebens.