Interview mit Wolfgang Wache - einem künstlerischen Urgestein der Tagebaukante
Interview mit Wolfgang Wache - einem künstlerischen Urgestein der Tagebaukante
„Erneuerungen
In jedem Augenblick
erneuert
sich der Moment
dabei sein
in Momenten
dabei sein
wenn das abgenabelte Kind
mit tröpfelnden Nasentropfen
langsam um die Plattenhäuser schleicht“
(Auszug aus „Evas Töchter“ in dem Band „Kornblumen gießt man nicht“, Band 1 Lyrik, Wolfgang Wache)
… vom Schaffen zum Sein
Sie haben als künstlerischer Leiter in den Kultureinrichtungen des Braunkohlenkombinats Senftenberg vor der Wende gearbeitet. Bis 2007 leiteten Sie die Niederlausitzer Kunstschule „Birkchen“. Was identifizieren Sie als Kultur und welche Bedeutung hat diese für das eigene Erleben?
Kultur, das ist alles, was uns umgibt. Wenn es das Essen ist, also die Speisen, dann gehört auch das zur Kultur. Dieses menschliche Miteinander ist für mich genauso Kultur. Was wir jetzt direkt besprechen, ist ja eher der Bereich des kulturellen Tätigseins. Oder kulturell etwas umzusetzen. Und ich war immer fasziniert von Menschen, die für andere etwas tun und für andere Prozesse in die Wege leiten. Und wenn du im kulturellen Bereich dranbleibst, kannst du Ideen entwickeln und selbst zum Laufen bringen. Es geht darum, den Freiraum zu haben und zu finden, Prozesse umzusetzen, die erstmal in deinem Kopf entstanden sind. Ein tolles Erlebnis ist es dann, wenn du siehst, was aus deinen Ideen geworden ist. Wenn Menschen plötzlich das umsetzen, was im eigenen Kopf entstanden ist und das dann auch noch Wirklichkeit wird. Das lässt sich nur begreifen, wenn man davon besessen ist. Das hat mich schon als kleines Kind begeistert. Das möchte ich eigentlich, solange wie ich lebe, nicht missen. Das ist für mich wichtig, und das ist für mich Kultur.
Wie sieht Ihr Blick auf Kultur in der Lausitz heute aus im Vergleich zu damals? Oder gibt es für Sie keine Unterschiede?
Kultur in der Lausitz ist sehr schwierig. Wenn man sich die Lausitz genauer anschaut, stellt man fest, dass hier große Wandlungsprozesse passiert sind. Bis 1890 herrschte überall ländliches Leben, und dann kam die Industrialisierung. Sie begann mit der Erschließung der Braunkohlenfelder in dieser Region, und dadurch entwickelte sich auch die Glas- und Keramikindustrie. In allem lässt sich der Grundstoff Braunkohle finden. Mit der Braunkohle hat sich diese Region wahnsinnig verändert und somit auch das kulturelle Leben. Früher waren hier sorbische Sitten und Bräuche zu Hause, und dann gab es viele Auseinandersetzungen mit der Germanisierung und den Sorben. Hinzu kam, dass mit der Industrialisierung plötzlich auf dünn besiedelten Gebieten die verschiedensten Menschen, nicht nur aus Deutschland, aufeinanderprallten. Das war eine wahnsinnige Entwicklung, die, so glaube ich, immer noch nicht zu Ende ist. Eine Vermischung hat stattgefunden, denn vieles Alte ist nicht mehr da. Manchmal wollen die Menschen manches Alte wiederbeleben; aber hier sind ganz neue Prozesse entstanden. Plötzlich wurden schlesischen Klöße wichtig in der Lausitzer Gegend. Warum? Weil man aus Schlesien hierher kam. Das zeigt, dass hier in der Lausitz immer ein Wandel zu spüren war. Bezogen auf den Prozess der kulturell-ästhetischen Bildung haben wir hier jedoch ganz große Schwierigkeiten. Wir müssen uns nur mal anschauen, welche Menschen in diese Region kamen. Welche Arbeit war hier vorhanden? Arbeit, die körperlich schwer war; aber Ingenieure und dergleichen brauchte man kaum. Was man hingegen brauchte, waren Arbeiter.
Also war Kultur eine Angelegenheit der Betriebe und nicht des Staates?
Die Ilse-Bergbau-Aktiengesellschaft war eine Firma gewesen, die die Braunkohleentwicklung vorantrieb. Diesbezüglich gibt es in unserem Ausstellungsraum vom Nachwuchs-Literatur-Zentrum (NLZ) "Ich schreibe!" eine Schrift aus der Zeit, als man die Gartenstadt Marga zu einer Arbeiterkolonie ausbaute. In dieser Schrift steht, wozu ein solches Ensemble gebaut wurde. Es ging darum, den Arbeitern Kultur beizubringen. Sie sollten in diesem Ensemble eine feine ästhetische Bildung erhalten...
…von Tante Gretel inspiriert
Wie würden Sie die Zukunft vom NLZ einschätzen bzw. was muss denn in jedem Fall getan werden, dass das NLZ nicht stirbt?
Wir wollen natürlich nicht, dass das NLZ stirbt. Man bräuchte eigentlich nur so weitermachen und keine Förderungen mehr beantragen; dann wäre es vielleicht so. Aber das wollen wir ja gerade nicht. Was wir hingegen wollen: Junge Leute sollen eine Zukunft sehen, sich als Kulturmacher verstehen und begeistert davon sein, kulturelle Prozesse umzusetzen sowie künstlerisch tätig zu werden. Das ist uns das Wichtigste. Du kannst ein guter Vermittler sein, wenn du dir bewusst machst, ein großes Wunder erleben zu können, wenn man plötzlich einen Pinsel in die Hand nimmt und eine Idee hat und staunt, was da plötzlich auf der Leinwand entsteht. Es braucht daher Menschen, die ein Verständnis für solche Prozesse entwickeln oder bereits haben. Sie stellen dann fest, wie bereichernd es für das eigene Leben ist, sich auf Kunst und Kultur einzulassen. Ich bin dafür das beste Beispiel. Es handelt sich um unsere liebe Tante Gretel. Tante Gretel hat mit uns damals Theater gespielt und uns damit begeistert. Sie schaffte es, ein Stück zu entwickeln, in dem ursprünglich vier Personen mitspielen sollten, doch am Schluss waren es 40. Jeder wusste, dass er in diesem großen Prozess wichtig ist. Mein Problem war, dass ich mit der deutschen Sprache nicht zurechtkam. Ich fand die Schule grausam. Jedoch gab es Menschen, wie auch Tante Gretel, die mir mit 9 Jahren dazu verhalf, Lust am Schreiben zu entwickeln. Sie öffnete mir den Weg und trieb mich an, weiterzuschreiben. „Mit der Rechtschreibung wirst du das später auf die Reihe bekommen!“, sagte sie. Wichtig ist es, sich nicht zu ernst zu nehmen und erst einmal ins künstlerische Tätig sein zu gelangen. Das habe ich getan, und das ist es, was ich auch den jungen Leuten heute vermittle. Wenn ich mit Kindern und Jugendlichen arbeite, versuche ich ihnen, das Zuhören ans Herz zu legen. Das beginnt bereits in der Natur, wenn ich bspw. mit einem toten Baum spreche. Der Wind rauscht und die trockenen Ähren klappern. So entsteht ein großes Konzert. Das habe ich ihnen mitgeteilt und findet Verwendung in ihren lyrischen Texten.
… vom Zuhören und Befruchten
Wie haben Sie den Strukturbruch und die sich wandelnde Identität in der Lausitz erlebt?
Die Braunkohle hatte für diejenigen, die hier wohnten, das Hauptsagen. Es drehte sich alles um die Kohle. Das ganze Leben wurde von der Kohle bestimmt und damit auch der kulturelle Bereich, welcher vom Braunkohlenkombinat finanziert wurde. Kultureinrichtungen wurden nicht durch den Kommunalhaushalt, sondern durch den Betrieb bezahlt. Meine alte Arbeitsstelle, das Kulturhaus des Braunkohlenkombinats Franz Mehring, beherbergte über 40 Arbeitsgemeinschaften, die durch einen künstlerischen Leiter und betreut wurden. Es gab u.a. Theater-, Ballett-, Sing- und Keramikgruppen. Alles in allem also eine ganze Reihe an kulturellen Betätigungsmöglichkeiten. Und vergessen wir die großen kulturellen Veranstaltungen nicht. Diese wurden für die Werktätigen organsiert. Als dann die Wende kam, war in vielen kommunalen Bereichen die Kulturarbeit nicht zu Hause. Dadurch entstanden große Probleme, die heute noch sichtbar sind. Die Schwierigkeit besteht darin, unser Publikum für verschiedene Veranstaltungen zu begeistern. Das ist im Moment ein anstrengender Prozess. Die kulturelle Bildungsarbeit bleibt derzeit auf der Strecke. Das war schon vor Corona der Fall und ist durch die Pandemie noch viel schlimmer geworden. Wichtig bleibt uns: „Begeistern durch Begeisterung!“. Und zwar durch unsere Begeisterung, etwas zu tun, und um diese dann auf die anderen Leute zu übertragen. Aber dafür muss sich erst die Gelegenheit bieten. Kunst und Kultur müssen den Menschen in den Weg gelegt werden, damit sie darüber stolpern. Was im NLZ zu sehen ist, ist nicht perfekt; aber darum geht es auch nicht.
Kulturarbeit wurde nach der Wende zur freiwilligen Aufgabe in den kommunalen Haushalten, und das darf nicht sein! Es gibt seit Jahren immer wieder Bestrebungen, dass die kulturelle Arbeit zur Pflichtaufgabe wird. Aber bis zum heutigen Tage ist es beim Reden und Bekennen geblieben. Das hindert uns in unserer Arbeit stark. Mein Wunsch wäre es, mit einem künstlerischen Team zusammenzuarbeiten, sich Projekte auszudenken, ohne einen Gedanken an die finanziellen Herausforderungen bei der Umsetzung verschwenden zu müssen.
Wenn man sich im künstlerischen Tätigsein treu bleiben will, kann es passieren, dass man plötzlich keinen passenden Fördertopf findet und stattdessen eine ganze Zeit lang ohne finanzielle Unterstützung klarkommen muss, weil man nicht nur den Fördertopf bedient. Förderpolitik sollte daher mehr von der anderen Seite, also aus Sicht der Kulturschaffenden gedacht werden.
… von der Kunst am ... ähh! ... beim Bau
Sie haben auf Ihrer persönlichen Website den Aufbau gewählt, Kunst, Kultur und Arbeit zu verbinden. Und das wird deutlich bei der Benennung der Reiter, welche angelehnt sind an die Aufsplittung von Arbeitsprozessen auf einer Baustelle. Wie lässt sich das zusammendenken?
Ich habe ursprünglich das Maurerhandwerk erlernen dürfen und das noch in alter Form. In der 8. Klasse bin ich raus ins Berufsleben und habe dort die alten Generationen von Handwerkern in der Gartenstadt Marga kennengelernt. Ein Dachdeckermeister war für mich damals genauso wichtig wie Tante Gretel. Er hatte mir mit auf den Weg gegeben, dass das Einbringen in die Gesellschaft mit künstlerischen Prozessen wichtig sei. Dieser Mann konnte sich mit den Kollegen auf die deftigste Baubudenart unterhalten, aber auch feinsinnig ein ordentliches Gespräch führen. Davon habe ich profitiert, denn diese Haltung öffnete mir so manche Türen. Während der Bauarbeiterzeit habe ich gemalt und Texte geschrieben sowie in Bewegungen, wie denen der „Schreibenden Arbeiter“, mitgewirkt. Deshalb bekam ich auf der Baustelle den Spitznamen „Dichter“,der jedoch eine negative Bedeutung hatte à la „Hallo, da kommt unser Spinner!“. Irgendwann packte es mich und ich brauchte nochmal Veränderung, besuchte die Abendschule und schloss ein Studium in Leipzig ab. Diese wunderbare Schule, auf dem Bau tätig zu sein, verschiedene Menschen kennenzulernen und mit diesen zu arbeiten, werde ich nicht vergessen. Den schönsten Lohn in der Kunst erhalte ich immer dann, wenn ich gefragt werde, warum ich mir das überhaupt antue? Darauf antworte ich, dass es die Begeisterung ist. Wenn ich bspw. junge Artisten am Trapez arbeiten sehe, bin ich nah am Wasser gebaut, und dann fließen die Freudentränen.
… vom eigenen Ausblick auf den weiteren Balkon des Lebens
Was liegt denn noch in der Schublade „Aktuelle Baustelle für 2022“?
Wolfgang Wache als Künstler. Denn diesbezüglich hat er sich sehr zurückgenommen. Andere Dinge waren wichtiger. Dinge voranzutreiben z. B. Deshalb blieb der WW oft im Hintertreffen. Das hat er sich nun vorgenommen: Dort noch etwas stärker ranzugehen; Dinge, die eigentlich schon gemacht wurden, zu sammeln und zusammenzubringen und neue Dinge zu entwickeln. Es sind zwei Dinge, die jetzt ganz wichtig für mich sind: Ein Kunstbuch mit meinen eigenen Zeichnungen und Grafiken zu erstellen und natürlich meine eigenen Texten voranzubringen. Ich freue mich sehr darauf. Man darf nur nicht zu sehr hinter die Kulissen schauen und nicht allzu viel wissen, ansonsten ist der Glanz runter und alles nicht mehr ganz so toll. Was ich nicht schön fand, ist die Show, die so manchem Autor vorgegaukelt wird. Das habe ich erkennen müssen, da doch viele benutzt werden. Und das bekommt man erst mit, wenn man hinter die Fassade schaut. Und ja, das habe ich auch vermieden. Deshalb habe ich auch einen eigenen Verlag gemacht und möchte mit den anderen auch ehrlich umgehen. Ganz wichtig ist für mich der Schaffensprozess. Mehr Zeit zu finden für die wichtigen Momente, in denen man erlebt, wie der Text oder das Bild entsteht. Das sind für mich die schönsten Erlebnisse. Und das fortzusetzen und erleben zu dürfen, kann man ja nur, solange man sich gesund und wohl fühlt. Ich wünsche mir, dass mir das noch lange gegeben ist.
Das Interview führte Claudia Arndt.