Marek Martyniak: 49 Etagen und nie zu spät, um anzufangen

Marek Martyniak: 49 Etagen und nie zu spät, um anzufangen

Wir hier

»Die Zeit vergeht – und Eure sportlichen Ambitionen wachsen? Ihr wollt in einem Alter, in dem andere Sportler in Rente gehen, erst richtig durchstarten? Unmöglich? Marek Martyniak aus Zgorzelec beweist das Gegenteil.«

3mag: Wie heißt diese Sportart offiziell? Kannst du uns etwas über ihre Geschichte und Entwicklung weltweit erzählen?

Marek Martyniak: Das Treppenlaufen – auch unter den Begriffen Towerrunning oder Stairclimbing bekannt – ist eine Sportdisziplin, bei der man so schnell wie möglich Treppen hinaufläuft. Es gibt verschiedene Distanzen und Varianten dieses Sports. Die Wettkämpfe finden meist in Treppenhäusern hoher Bürogebäude statt, aber auch in Fernsehtürmen, Aussichtstürmen oder sogar im Freien, sofern dort mindestens 100 Stufen vorhanden sind.

Die Ursprünge des Treppenlaufs reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Der früheste dokumentierte Wettkampf fand am 24. September 1703 in einer Londoner Taverne statt – zwei Gentlemen stritten sich um ein Wettrennen auf das 62 Meter hohe Monument zum Großen Brand von London. Der Sieger brauchte rund 2,5 Minuten – dies könnte als Beginn der dokumentierten Sportart gelten.

Der erste moderne Treppenlauf wurde laut Quellen am Nationalfeiertag (14. Juli) im Jahr 1903 in Paris organisiert, auf den Außentreppen der Rue Foyatier. 1905 und 1906 folgten die ersten historischen Läufe auf den Eiffelturm. Nach einer 110-jährigen Pause wurde der Lauf 2015 unter dem Namen „La Verticale de la Tour Eiffel“ wiederbelebt – bis zur Corona-Pandemie jährlich durchgeführt.

Bekanntheit erlangte der Sport aber erst 1978 mit dem „Empire State Building Run-Up“ in New York. Von da an verbreitete sich der Sport weltweit – besonders in den USA und Asien.

In Polen wurden die ersten offiziellen Wettkämpfe in Wrocław im inzwischen abgerissenen Poltegor-Gebäude (85 m, 460 Stufen) abgehalten. Seit 2011 findet in Warschau der „Bieg na Szczyt“ im 37-stöckigen Rondo 1 statt. 2008 gab es die ersten offiziellen polnischen Meisterschaften in Katowice (Hotel Altus, 30 Etagen, 702 Stufen). Ein sehr beliebter Lauf ist der „Sky Tower Run“ in Wrocław, der seit 2014 veranstaltet wird und mittlerweile als offizielle polnische Meisterschaft gilt. Besonders zur Bekanntheit des Sports trug der erfolgreichste polnische Treppenläufer Piotr Łobodziński bei.
 

Tajpej Renata Idasiak
© Renata Idasiak

3mag: Wie kamst du auf die Idee? Muss man dafür bestimmte Voraussetzungen mitbringen?

Marek Martyniak: Meine Mutter, Bożena Martyniak, hat mich angesteckt. Seit 2017 nimmt sie regelmäßig am Sky Tower Run teil und steht in ihrer Altersklasse immer auf dem Podium. 2020 überredete sie mich, mitzulaufen – wegen Corona wurde das Rennen aber erst 2022 ausgetragen. Ich war untrainiert, dachte mir aber: „Ich geh einfach die 49 Stockwerke hoch, um Mama eine Freude zu machen.“ Vor dem Start machte ich ein bisschen Fahrrad auf dem Heimtrainer und trank einen Energydrink (den die Hostessen verteilten). Als der Startschuss fiel, ging ich ab wie eine Rakete – bis zum 4. Stock. Dann fingen die Lungen an zu brennen, die Beine wollten nicht mehr. Irgendwie schleppte ich mich bis zum 10. Stock – und brach zusammen. Die restlichen Etagen waren ein Kampf. Als ich endlich oben ankam, wusste niemand, ob man mich reanimieren oder gleich in den Sarg legen sollte. Aber ich war stolz wie nie zuvor – was für eine emotionale Achterbahnfahrt!

Meine Mutter war schneller als ich – das hat mich motiviert. Ich erinnerte mich an meine Kindheit, als ich im Wohnblock auf der Wyspiańskiego in Zgorzelec gegen den Aufzug rannte – damals war es ein Spiel, heute ist es mein Sport.

Ich fing an zu trainieren, wurde besser, und mit mir stiegen auch meine Mutter und meine Verlobte Renata ins Wettkampfleben ein. Wir wurden als die „sportlichen Verrückten“ bekannt. Dann traten wir der ersten und größten Treppenlaufgruppe Polens bei – PIECHOTĄ PO SCHODACH, gegründet von Jarosław Piechota aus Łódź.

Was die Voraussetzungen betrifft: Eigenschaften wie Ausdauer, Sauerstoffaufnahme, Schnelligkeit und Willensstärke sind definitiv von Vorteil. 

3mag: Und du bist ja schon über 40... stört das nicht? Oder hilft es sogar?

Marek Martyniak: Ich war immer sportlich, aber nichts hat mich so gepackt wie das Treppenlaufen. Es erfüllt mich und motiviert mich. Als junger Mensch konnte ich meine sportlichen Träume nicht verwirklichen – das hole ich jetzt nach. Ich bin 48 – klar, der Körper ist nicht mehr wie mit 20. Regeneration ist wichtiger, ich achte auf Ernährung, vermeide Verletzungen und trainiere gezielter. Ich bin bewusster als früher, trinke kaum Alkohol und will meine Trainingsarbeit nicht durch schlechte Gewohnheiten zunichtemachen.

Das Alter spielt im Treppenlauf eine untergeordnete Rolle – viele über 50 und sogar über 60 sind erfolgreich, besonders wenn sie aus dem Berg- oder Ausdauersport kommen.

Brno Marek Martyniak
© Marek Martyniak

3Mag: Ist das eigentlich ein gesunder Sport? Kann man das auch als Hobbysport betreiben? Zählt Einkäufe-in-den-dritten-Stock-tragen auch?

Marek Martyniak: Klar! Jeder kann Towerrunning machen, auch ohne Wettkämpfe. Kinder brauchen natürlich Aufsicht, und bei Krankheiten sollte man einen Arzt fragen – wie bei jedem Sport.

Treppentraining ist kurz und intensiv – ideal für Leute mit wenig Zeit. Die Verletzungsgefahr ist geringer als beim Joggen, und schlechtes Wetter spielt keine Rolle. Man kann ganz einfach anfangen – es reicht, regelmäßig ein paar Etagen zu gehen. Mit der Zeit kann man Intensität und Umfang steigern. Wichtig ist die Regelmäßigkeit.

Spezielle Schuhe braucht man nicht – flache Sohlen reichen, sogar barfuß ist möglich.

Treppenlaufen eignet sich auch als Ergänzungstraining – z. B. für Bergläufer, Fußballer oder Kampfsportler. Man stärkt die Beinmuskulatur, verbrennt Fett, verbessert die Ausdauer und erhöht den VO₂max.

Und ja – Einkäufe in den dritten Stock schleppen zählt absolut! Ich wohne im vierten Stock, renne ständig zum Auto, Keller, Müll – das ist auch Training. Treppen statt Aufzug – immer die bessere Wahl!

3Mag: Gibt es irgendwelche Wettkämpfe in unserer näheren Umgebung? Irgendwo im Dreiländereck? Vielleicht hast du eine Idee, wo man so etwas organisieren könnte? Wir werfen das Thema mal in den Raum – vielleicht interessiert sich ja jemand dafür.

Marek Martyniak: Am nächsten ist auf deutscher Seite der Treppenlauf in Chemnitz, ungefähr im November. Ein Stück weiter entfernt sind die Wettkämpfe in Zwickau im April. Und in
der Nähe von Dresden, in Radebeul, findet im Mai ein Treppenmarathon statt. 

Auf polnischer Seite ist Świdnica am nächsten, wo jedes Jahr ein Lauf auf den Rathausturm organisiert wird, sowie Wałbrzych, wo man auf einen Aussichtsturm läuft. In Wrocław finden im September erneut die Polnischen
Meisterschaften beim Sky Tower Run statt. Letztes Jahr gab es auch einen Treppenlauf unter freiem Himmel in Głuchołazy, aber ich weiß nicht, ob dieser in diesem Jahr aufgrund des Hochwassers, das die Stadt getroffen hat, wieder stattfinden kann. Alle Termine von Veranstaltungen in Polen findet man auf der Seite [towerrunning.pl](https://towerrunning.pl), die ich mitgestalte, sowie aktuelle Infos auf Facebook unter dem Profil Towerrunning
Poland] das ich mitbetreue. 

Leider gibt es keine Wettkämpfe direkt im Dreiländereck, aber ich sehe Potenzial in Zgorzelec. Es gibt dort einige hohe Gebäude, an denen man trainieren könnte: Manhatan, Wyspiańskiego, Konarskiego. Allerdings sind das
Wohnhäuser, und es ist schwierig, dort einen Wettkampf durchzuführen. Zum Glück gibt es einen sehr interessanten Ort – ideal für einen Treppenlauf :) Es handelt sich um den renovierten Wasserturm in Zgorzelec. Der Turm ist etwa 28 Meter hoch, hat 128 (sehr ungewöhnliche) Stufen und man hat einen tollen Blick auf die Umgebung. Ein idealer Ort für einen Wettbewerb, besonders für Kinder :)

Die größten Kosten wären eine Firma für die Zeitmessung – das kann sogar mehrere tausend Złoty kosten. Dann kommen Preise dazu, Medaillen für alle Teilnehmenden und Auszeichnungen für die Sieger in den Altersklassen – das macht allen Freude. Den Rest könnte man mit Freiwilligen stemmen, wenn es eine Zustimmung für die Veranstaltung an einem konkreten Datum gibt. Man könnte das mit einem Fest oder einem Feiertag verbinden. Vor Ort in Zgorzelec ist meine Mutter Bożena Martyniak. Sie hat schon an einer Treppenlauf-Präsentation in der Schule in Jerzmanki teilgenommen und zusammen mit einer Bekannten ein kleines Treppenrennen organisiert. Ich kann euch miteinander in Kontakt bringen – du könntest auch ein Interview mit ihr führen oder sogar eine Präsentation organisieren, wenn du solche Treffen mit Jugendlichen planst. Sie würde sich sehr darüber freuen und ist offen für solche Projekte. Ich kann auch vorbeikommen, wenn ihr etwas organisiert, ein Aufwärmtraining leiten oder beim Rennen unterstützen– zum Beispiel an einer Schule. Wenn jemand über meine Mutter schreibt, würde ihr das sicher Freude bereiten. Sie ist ein wenig neidisch, dass man in Wieluń über Sportbegeisterte schreibt – egal ob Amateur oder Profi – aber über sie ,in Zgorzelec, berichtet
niemand (obwohl sie bereits einige Medaillen und Pokale hat). Sie hilft auch im Obdachlosenheim „Bruder Albert“, wodurch sie Kontakt zum Bürgermeister und dem Landratsamt hat – vielleicht könnte man gemeinsam etwas auf die Beine stellen, z. B. ein Rennen im Wasserturm organisieren.

In Polen gibt es keine offizielle Towerrunning-Struktur oder Institution, die sich mit der Organisation solcher Läufe beschäftigt. Es gibt lediglich eine Community und Laufgruppen. Die Sportler müssen ihre Reisen zu Wettkämpfen selbst finanzieren. In diesem Jahr haben meine Kollegin Iwona Wicha (ehemalige polnische Meisterin im Orientierungslauf und Vizeeuropameisterin im Towerrunning) und ich zusammen mit ein paar anderen Laufbegeisterten den Verein RUN UP gegründet. Ziel ist unter anderem, das Treppenlaufen populärer zu machen. Wir wollen Trainings in Hochhäusern organisieren und einen polnischen Towerrunning-Cup aufbauen, um diese Sportart in Polen organisatorisch zu fördern. Wir können zwar im ersten Jahr keine Fördergelder beantragen, aber wir arbeiten Schritt für Schritt an der Entwicklung dieser sportlichen Disziplin. Gerne nehmen wir an Gesprächen teil, helfen bei der Organisation von Veranstaltungen oder Trainings und können auch eine Social-Media-Kampagne durchführen.

Zwickau Amelia Martyniak
© Amelia Martyniak

3mag: Was wünscht man einem Treppenläufer?

Marek Martyniak: Alles Gute! Kein spezieller Gruß – „Viel Glück“ oder „Hals- und Beinbruch“ passt. Seit der Vereinsgründung sagen wir aber gern: RUNUP!